Bewaffnete Polizei Wegabeamte
APA/Georg Hochmuth
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Chronik

Terrorlage war Worst-Case-Szenario

540 Notrufe sind Montagabend zum Terroranschlag in der Innenstadt alleine zwischen 20.00 und 21.00 Uhr eingegangen. Es gab den ganzen Abend über auch zahlreiche Falschmeldungen. Die mobile Terrorlage war ein Worst-Case-Szenario für die Polizei.

Der erste Notruf war um exakt 20.00 Uhr und 48 Sekunden eingegangen. „Schüsse in der Seitenstettengasse“ hatte ein in der Nähe wohnender Zeuge gemeldet. Allein bis 21.00 Uhr folgten 539 weitere Anrufe beim Polizeinotruf, am Abend zuvor waren es im selben Zeitraum 104 Notrufe gewesen.

„Standen alle extrem unter Druck“

Es begann die „Chaosphase“ – so werden die ersten Minuten einer Sonderlage bezeichnet, wenn die Hintergründe noch unklar sind und alles offen ist. Sechs Beamte nahmen zu diesem Zeitpunkt in der Landesleitzentrale Wien Notrufe entgegen. „Es gab im Sekundentakt immer mehr Notrufe, wir standen natürlich alle extrem unter Druck“, erinnerte sich Inspektor Thomas F. am Wochenende.

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Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Polizisteneinsatz Innenstadt
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Polizisteneinsatz Innenstadt
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Polizisteneinsatz Innenstadt
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Polizisteneinsatz Innenstadt
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Bewaffnete Polizei Wegabeamte
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Polizisten mit Waffen
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Polizisten richten Waffe in die Höhe
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Polizisten mit Waffen
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Polizisten mit Waffen
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Polizeiwagen
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Polizeiwagen
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Polizeiautos in der Innenstadt
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Bewaffnete Polizei Wegabeamte
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Polizeiautos in der Innenstadt
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Polizeiautos in der Innenstadt
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Polizist am Schwedenplatz
ORF

Er nahm erst die Anrufe bei 133 und 112 entgegen und fungierte in weiterer Folge als Einsatzdisponent. „Schüsse werden tagtäglich am Notruf gemeldet – es handelt sich meistens um Knallkörper oder generelle Falschmeldungen. Deshalb sind wir ganz am Anfang auch von einer regulären Gefahrenerforschung ausgegangen. Als sich aber dann sekündlich die Meldungen über Schüsse wiederholten, war uns schnell klar, dass wir uns in Richtung Ausnahmezustand bewegen“, ergänzte sein Kollege, Revierinspektor Christian H.

Blick in Einsatzprotokoll der Polizei

Ein Blick in das Einsatzprotokoll der Landesleitzentrale der Polizei zeigt den genauen Ablauf der sich überschlagenden Ereignisse der Terrornacht am Montag.

Nach einer Minute bereits Priorität eins

Für die Polizei war es eine hochgradig dynamische Situation. Die APA konnte Einblick in das Einsatzprotokoll der Landesleitzentrale nehmen. Laut diesem erhielt der Einsatz bereits um 20.01.10 Uhr die Priorität eins und beinahe zeitgleich wurde der erste Streifenwagen entsandt. Um 20.01.23 Uhr meldete ein Bürger am Notruf einen Schusswechsel mit Schrotflinte auf dem Schwedenplatz. Um 20.02.21 Uhr waren 15 Streifen inklusive Beamten der Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA) auf dem Weg zum Tatort.

Acht Sektorfahrzeuge der WEGA waren am Montagabend regulär im Streifendienst unterwegs, in ihnen sitzen immer zwei Beamten. Den Ablauf und auch die Taktik des folgenden WEGA-Einsatzes schilderte WEGA-Chef Ernst Albrecht Samstagabend in einem „Wien heute“-Gespräch. Es sei darum gegangen, Druck auf den Attentäter zu machen, ihn zu „stören“ – mehr dazu in WEGA-Chef: Wollten Attentäter „stören“.

Nach drei Minuten Erstkontakt mit Attentäter

Um 20.03.21 Uhr hatten Polizisten den ersten Kontakt mit dem 20-jährigen Täter – als noch nicht klar war, dass es sich dabei um eine Terrorlage handelte. Vor einer Bar in der Seitenstettengasse sichteten zwei Beamte der Polizeiinspektion Laurenzerberg den Täter und griffen ein. Es kam zum ersten Schusswechsel. Hierbei wurde der 28-jährige Polizist schwer verletzt. „Kollege getroffen“, hieß es um 20.04.48 am Funk.

Langwaffe auf Boden
APA/LPD Wien
Die Polizei veröffentlichte am Sonntag Bilder der Tatwaffen. Bei dem Sturmgewehr gehen die Ermittler davon aus, dass es sich um eine „Zastava M70“ handelt.

Beinahe zeitgleich mit dem Erstkontakt mit dem Täter – um 20.03.22 Uhr – fand ein Beamter die erste verletzte Person. Um 20.05.12 Uhr lag eine erste Täterbeschreibung vor – Zeugen berichteten davon, dass der Terrorist eine schwarze Kapuzenjacke trage, was sich später als falsch herausstellte. Immer wieder wurden sehr unterschiedliche und widersprüchliche Wahrnehmungen angegeben.

20.09.42 Uhr: „Anhaltung eines Täters mit STG 77“

Um 20.05.30 Uhr wurde erstmals gemeldet, dass der Täter mit einer automatischen Waffe schoss. Es wurde klar, dass es sich um eine absolute Ausnahmesituation, eine Sonderlage, handelte. Um 20.06.43 Uhr ging die erste Meldung über eine schwer verletzte Person ein. Um 20.07.41 Uhr folgte der nächste Schusswechsel mit der Polizei, dieses Mal im Bereich Morzinplatz. Beinahe zeitgleich traf um 20.07.59 Uhr auch der Polizeihubschrauber ein.

Messer, Pistole und Munition auf dem Boden
APA/LPD Wien
Die Ermittlungen bezüglich der sichergestellten Waffen, insbesondere deren Herkunft, laufen auf Hochtouren.

Um 20.08.31 Uhr wurde der Täter im Bereich der Ruprechtskirche gesichtet, zeitgleich wurden weitere Schüsse gemeldet. Um 20.09.42 Uhr kam am Funk die Meldung „Anhaltung eines Täters mit STG 77“. Der Attentäter war zur Strecke gebracht.

Meldungen über bewaffneten Täter gingen weiter

Doch die Meldungen über einen bewaffneten Täter gingen weiter, ein derartiger Notruf wurde etwa um 20.11.29 Uhr protokolliert. Um 20.12.29 Uhr gab es erste Meldungen über Personen, die sich in Lokalen verbarrikadiert hätten – unzählige weitere folgten an diesem Abend und in der Nacht. Ab 20.13.49 Uhr wurden Anrufer von der Leitstelle angewiesen, jedenfalls in Gebäuden zu bleiben.

Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Die WEGA war Seite an Seite mit Streifenpolizisten im Einsatz

Um 20.14.04 Uhr kam die Meldung, dass nicht gesichert sei, ob es weitere Täter gebe. Um 20.17.11 Uhr hieß es, dass sich bei der Ruprechtsstiege auf einem Baum eine Person mit Rotlichtvisier befinde – dabei dürfte es sich um einen Polizisten gehandelt haben.

Etliche Paralleleinsätze wegen Falschmeldungen

18 Minuten nach Beginn des Anschlags starteten viele Paralleleinsätze. Alle diesbezüglichen Meldungen stellten sich später als Falschmeldungen heraus. Doch die Polizei musste selbstverständlich alle derartige Notrufe ernst nehmen. Um 20.18.31 Uhr wurde gemeldet, dass beim Stadtpark eine leblose Person aufgefunden worden sei. Zeitgleich wurden aus immer mehr Lokalen Verletzte und Tote gemeldet. Um 20.21.17 Uhr meldete der Einsatzleiter der Polizei, dass der tote Attentäter einen Sprengstoffgürtel trage. Dieser stellte sich später als Attrappe heraus.

Um 20.27.55 Uhr erfolgte der nächste große Paralleleinsatz – es gab eine Meldung über verdächtige Personen auf einem Hausdach in der City. Um 20.39.01 Uhr wurde am Franz-Josefs-Kai eine Rettungsstation eingerichtet. 30 Minuten nach Beginn des Anschlags – um 20.30.39 Uhr – meldete ein Zeuge bereits, dass er ein Video von einem Täter habe.

Viele hielten Polizisten für Täter

Laufend gaben Zeugen nunmehr am Notruf an, den bzw. die Täter gesehen zu haben. Aufgrund der chaotischen Situation wurden auch viele Polizisten als mögliche Terroristen wahrgenommen. Rund 150 Polizisten hatten sich am Montagabend selbst in den Dienst gestellt. Rund 1.000 waren insgesamt im Einsatz. Um 20.47.49 Uhr erfolgte der Funkspruch, Polizisten in Zivil sollten eine gelbe Warnweste anlegen.

Unzählige Paralleleinsätze folgten. Angebliche Täter wurden unter anderen am Hohen Markt, am Hof, in einem Lokal und im Keller von Lokalen gesichtet und gemeldet. Um 20.45.33 Uhr hieß es beispielsweise: „Schüsse am Tuchlauben“. Um 21.30.00 Uhr meldete jemand eine Geiselnahme in einem Restaurant auf der Mariahilfer Straße. Um 21.49.05 Uhr wurden vorgeblich verdächtige Personen mit Langwaffen in der U-Bahn wahrgenommen. Außerdem gab es aus mehreren Bezirken Notrufe wegen vermeintlicher Schüsse. All diese Paralleleinsätze stellten sich als Falschmeldungen heraus, banden aber viele Einsatzkräfte.

„Stundenlang unter Strom“

„Im Chaos der ersten Minuten ist es am schwersten, aber gleichzeitig am wichtigsten, den Überblick zu bewahren. Bei Hunderten Notrufen, Dutzenden Streifeneinheiten und sekündlich veränderten Informationen ist das natürlich ein absoluter Ausnahmezustand“, sagte Notruf- und Einsatzdisponent Revierinspektor Christian H.. „Viele Kolleginnen und Kollegen der Funkstelle waren stundenlang unter Strom – erst um Mitternacht ist es erstmals etwas ruhiger geworden“, ergänzte sein Kollege Thomas F.

90 Minuten nach dem Anschlag wurde von der Polizei eine Upload-Plattform aktiviert und die Bevölkerung aufgefordert, Videos und Fotos hochzuladen. 24.000 Videos und Fotos gingen ein. 100 Ermittler sicherten die Daten innerhalb von 48 Stunden. In der Nacht auf Sonntag wurde die Plattform wieder deaktiviert. Mit dem Videomaterial konnte der Tatablauf vollständig rekonstruiert werden.