Christoph Wiederkehr und Michael Ludwig bei Pressekonferenz
APA/Herbert Neubauer
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Politik

Bilanz nach einem Jahr Rot-Pink

SPÖ und NEOS bilden seit einem Jahr die Regierungskoalition im Wiener Rathaus. Heute zogen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) gemeinsam Bilanz. Beide sehen wichtige Punkte bereits umgesetzt.

Man habe bereits über hundert Punkte des Koalitionsabkommens abgearbeitet, sagte Ludwig. Das gelte etwa für die Daseinsvorsorge, den Wohnbau oder den Klimaschutz. Alles überstrahlt habe in diesem Jahr aber die Pandemie. Da sei man stolz auf den spezifischen Wiener Weg, betonte Ludwig: „Wir haben in Wien, wie ich meine, zeitgerecht Maßnahmen gesetzt. Das ist auch ein Grund, warum wir im Bundesländervergleich die niedrigsten Inzidenzen haben.“

Auch Wiederkehr lobte die Zusammenarbeit. Die Ankündigung, in den Wiener Bädern Impfstraßen einzurichten, solle zeigen, „wie schnell und innovativ wir auch in dieser Regierung arbeiten und wie stark wir uns darum benmühen, Lösungen zu bringen.“ Die spezifische pinke Handschrift sieht Wiederkehr unter anderem in der Whistleblowerplattform und den Lerncafes verwirklicht.

„Modellcharakter“ für Deutschland

Die erste rot-pinke Koalition nahm am 24. November ihre Arbeit auf – mitten im damaligen Lockdown. Damals, so konstatierten die beiden Parteichefs am Dienstag, habe man nicht vermutet, dass man auch das einjährige Jubiläum wieder in einem solchen verbringen werde. Trotz der Krise habe man aber gut zusammengearbeitet. Man trete, wie Ludwig festhielt, nach außen hin geschlossen auf, auch wenn es natürlich mitunter Diskussionen innerhalb der Regierung gebe.

Man betone allerdings nicht, dass es sich bei einem Projekt um eines der SPÖ oder eines der NEOS gehandelt habe. „Wir unterscheiden da nie“, sagte Ludwig. Der Wiener Bürgermeister zeigte sich überzeugt, dass Rot-Pink Modellcharakter aufweise und verwies unter anderem darauf, dass auch Olaf Scholz (SPD) in Deutschland von einer künftigen Fortschrittskoalition – dort wohl demnächst mit Grünen und der FDP – spreche.

„Gegenmodell zum System Kurz“

Auch Wiederkehr befand, dass die Arbeit in der Regierung von Stabilität und Fortschritt gekennzeichnet sei. Dies sei in anderen Regierungen nicht immer der Fall, wo mitunter das Trennende in den Vordergrund gestellt werde. Die Wiener Koalition, so versicherte Wiederkehr, sei damit auch ein „Gegenmodell zum System Kurz“.

Gemeinsam sei man etwa den konsequenten Weg in Sachen CoV-Maßnahmen gegangen, wurde betont. Ludwig verwies einmal mehr darauf, dass Wien dafür etwa vom Bund vor dem Sommer noch für strengere Regelungen kritisiert worden sei. Beide bekräftigten, dass man hier weiterhin an einem Strang ziehen werde. So kündigte Wiederkehr etwa Impfmöglichkeiten in nun geschlossenen Bädern an. „Dieses Beispiel soll zeigen, wie schnell und innovativ wir in der Regierung arbeiten.“

Wiederkehr will Schulen offenhalten

Wiederkehr bekräftigte in der Pressekonferenz, dass die Schulen weiter geöffnet bleiben sollten. Distance Learning könne es aber für diejenigen Klassen geben, die geschlossen zu Hause bleiben. Ziel sei aber auch weiterhin das Aufrechterhalten des Präsenzunterrichts, „gleichzeitig allerdings mit der Aufforderung, die Zeit zu nützen für Lernvertiefung und Lernwiederholung“. Kein Kind, das zu Hause bleibe, solle Nachteile zu spüren bekommen, so der Ressortchef.

Dass Bürgermeister Ludwig hier möglicherweise zurückhaltender vorgegangen wäre, hat er in einem Interview mit „oe24“ angedeutet. Er hätte vor allem auf E-Learning gesetzt, ließ er wissen.

Einigkeit bei Impfpflicht

Einig zeigte man sich in Sachen Impfpflicht, wobei hier Sorgfalt beim Gesetzwerdungsprozess eingemahnt wurde. So müssten etwa auch Einrichtungen der Zivilgesellschaft im Vorfeld gehört werden, forderte Ludwig. Nur so könne man sicherstellen, dass die Regelung auf entsprechende Akzeptanz in der Bevölkerung stoße.

Auch abgesehen von der Pandemie seien bereits viele Vorhaben umgesetzt worden, versicherte der Stadtchef in der Jubiläums-PK. So werde demnächst erstmals ein Doppelbudget beschlossen. Hervorgehoben wurden von ihm auch Ausbildungsinitiativen im Bereich Pflege, der Ausbau in Sachen Primärversorgungszentren und die „Öffi“-Netzerweiterung.

NEOS-Handschrift bei Whistleblowerplattform

Die NEOS-Handschrift sei etwa bei der Einrichtung einer Whistleblowerplattform zu erkennen, beteuerte Wiederkehr. Die SPÖ-NEOS-Koalition war nach der Wien-Wahl 2020 geschmiedet worden, wobei nur etwas mehr als zwei Wochen verhandelt wurde.

Rot-Pink löste damit die rot-grüne Stadtkoalition ab, die seit 2010 regiert hatte. Das Regierungsübereinkommen wurde im Beisein eines überdimensionalen Punschkrapferls am 17. November 2020 präsentiert. Wenige Tage später, am 24. November, erfolgte die Angelobung im Gemeinderat.

Opposition „ernüchtert“ über „Schreckensbilanz“

Für die Wiener ÖVP ist die Bilanz nach einem Jahr ernüchternd. Von Reformen oder einem großen Projekt fehle jede Spur. Die rote Selbstzufriedenheit habe auch die Neos erfasst, die sich entweder dem Druck der SPÖ beugen oder in ihrem Ressort keine Missstände nachhaltig beheben, sagten Klubobmann Markus Wölbitsch und Landesgeschäftsführerin Bernadette Arnoldner. Transparenz, MA 35, Kindergartenpersonal: Tatsache sei, dass die faktisch allein regierende SPÖ schalte und walte wie es ihr beliebt. Es müsste unter anderem aber Wertschätzung für Unternehmertum forciert werden, um den notwendigen Fortschritt voranzutreiben.

Die FPÖ sprach in ihrer Reaktion von „Selbstbeweihräucherung“, einer „gesundheitspolitischen Schreckensbilanz“ und „wirtschaftlichem Rückschritt“. die SPÖ fahre das Gesundheitssystem seit Jahren an die Wand, die Gesundheitsmitarbeiter seien chronisch überlastet und unterbezahlt, so FPÖ-Chef Dominik Nepp. Förderungen würden an den wahren wirtschaftlichen Bedürfnissen vorbeigehen und das Doppelbudget zeuge von „wirtschaftlicher Inkompetenz auf höchstem Niveau“. Die Performance der NEOS sei eine einzige Enttäuschung. Wiederkehr & Co. seien nur ein willfähriges Anhängsel der SPÖ.