Bürgermeister Michael Ludwig
APA/Herbert Neubauer
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Politik

Aus für Lobautunnel: Ludwig fehlt Alternative

Nach dem Bau- und Planungsstopp für den Lobautunnel übt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) scharfe Kritik an der Entscheidung. Er sieht das als „Schlag gegen die Lebensqualität in der Stadt“. Er erwartet sich von der Verkehrsministerin Alternativen.

Der Bürgermeister geht davon aus, dass das letzte Wort im Streit um den Lobautunnel noch nicht gesprochen ist und erwartet, dass „das eine langfristige Angelegenheit“ wird. Die Unterlagen, die zur Entscheidung von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) führten, habe Ludwig Mittwochvormittag erhalten, jetzt würden die Juristen der Stadt das weitere Vorgehen prüfen. Er erwarte jetzt schnellstmöglich Alternativvorschläge: „Wer eine neue, bessere Idee hat: Herzlich willkommen. Aber, warum hat es die bisher nicht gegeben?“, stellte Ludwig die Existenz solcher infrage.

Präsentation eine „Pflanzerei“

Die Präsentation von Gewessler bezeichnete Ludwig als „Pflanzerei“. Rechtliche Schritte wollte der Bürgermeister aber nicht unmittelbar ankündigen. Das müsse jetzt geprüft werden. Für ihn ist der Lobautunnel weiter ein wichtiger Schritt, um die Ostregion und die östlichen Bezirke Wiens vom Verkehrsdruck zu entlasten. Wenn der Tunnel und die weiteren Straßenbauprojekte nicht kommen, würde die Lebensqualität sinken und stattdessen mehr Stau und Abgase entstehen.

Für ihn ist klar: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, „es würde mich sehr interessieren, wie die gesamte Bundesregierung zu dieser Entscheidung steht“. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hatte in einer ersten Stellungnahme schon angekündigt, dass es möglichst bald Gespräche über das weitere Vorgehen geben muss.

Aus für Lobautunnel

Das von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Mittwoch verkündete Aus für den umstrittenen Wiener Lobautunnel hat emotionale Reaktionen hervorgerufen. Während Projektgegner jubelten, zeigte sich in der Politik ein differenziertes Meinungsbild. Eine erwartbar klares Kontra kam von der Wiener SPÖ: Bürgermeister Michael Ludwig ortete eine „Pflanzerei“ und kündigte die Prüfung „juristischer Maßnahmen“ an.

Bedenken bei Stadtstraße

Gewessler hatte angekündigt, dass die Stadtstraße gebaut werden kann. Ein Teil davon wird von der Stadt gebaut, ein zweiter soll von der ASFINAG errichtet werden. Die Stadt hatte stets betont, dass die Stadtstraße ohne Lobautunnel keinen Sinn ergeben würde. Das betonte Ludwig am Mittwoch erneut. Er habe großes Interesse, die Stadtstraße zu bauen.

Jedoch sei aufgrund der Ankündigung der Verkehrsministerin davon auszugehen, dass die Straße dann in Raasdorf ohne Anschluss endet und „wenn das im Nichts endet, wird das nicht viel helfen“, so Ludwig. Er betonte, Wien habe alle Vereinbarungen eingehalten, etwa die U2 in das Stadterweiterungsgebiet Seestadt Aspern gebaut, sowie Straßenbahnprojekte auf Schiene gebracht. Das flächendeckende Parkpickerl wird im März 2022 eingeführt. Jetzt sei eine jahrzehntelange Planung mit einem Mal hinfällig.

„Es war die Lobau als Naturschutzgebiet nie in Gefahr“, beteuerte er einmal mehr. Flora und Fauna seien nie beeinträchtigt gewesen. Außerdem habe man sich aus ökologischen Gründen für den Tunnel entschieden. Ursprünglich war eine Brücke angedacht, erinnerte er an frühere Pläne.

Freude bei NEOS und Grüne

Während die Wiener SPÖ die Nordostumfahrung und den Lobautunnel stets als wichtige Verkehrsmaßnahme gesehen hat, zeigt sich der aktuelle Regierungspartner in der Stadt, NEOS, erfreut über das Aus für das Projekt. Klubobfrau Bettina Emmerling sprach in einer Aussendung von einer „erwartbaren und richtigen Entscheidung“. NEOS hatte den Bau stets kritisiert.

„Das Wichtigste ist: Jetzt herrscht Klarheit. Wir NEOS begrüßen die Entscheidung und fordern alle Beteiligten auf, jetzt rasch zu handeln, statt nachhaltige Lösungen durch Rechtsstreitigkeiten über Jahre zu verzögern“, zeigte sich Emmerling auch skeptisch gegenüber den von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in den Raum gestellten Klagen. Nun würde die Chance bestehen, die verkehrsgeplagten Bewohnerinnen und Bewohnern der Donaustadt schnell und ökologisch sinnvoll zu entlasten. Nötig sei ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Chronologie des Lobautunnel-Projekts

Seit fast zwei Jahrzehnten wird am Projekt „Lobautunnel“ geplant und darüber diskutiert. „Wien heute“ mit einer Chronologie.

Freude äußerten auch die Wiener Grünen. Das Führungs-Duo Judith Pühringer und Peter Kraus hielten in einer gemeinsamen Aussendung fest: „Heute ist ein Jubeltag für den Klimaschutz und die gesamte Klimabewegung. Die Entscheidung gegen den Lobautunnel ist richtig und vernünftig. Sie bestätigt all jene, die sich für echten Klimaschutz und eine Verkehrswende in Wien einsetzen. Ein Festhalten an diesem uralten fossilen Großprojekt ist mit Erreichung der Klimaziele einfach nicht mehr vereinbar.“

Entscheidung für ÖVP „Schlag ins Gesicht“

Die beiden anderen Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ übten hingegen harsche Kritik. „Die heutige Entscheidung von Verkehrsministerin Gewessler ist völlig unverständlich, zeugt von kompletter Verantwortungslosigkeit und ist geradezu ein Schlag ins Gesicht der Wienerinnen und Wiener. Dieser Entscheidung muss entschieden entgegengetreten werden“, befanden ÖVP-Klubobmann Markus Wölbitsch und der türkise Verkehrssprecher Gemeinderat Wolfgang Kieslich in einer Aussendung.

FPÖ-Verkehrssprecher Anton Mahdalik forderte die ÖVP auf, auf Regierungsebene im Bund Druck auf die Grünen auszuüben. „Allein im 22. Bezirk schmoren 200.000 Menschen seit Jahren in einer Stauhölle, die durch massive Bautätigkeit und die skandalöse Streichung einer unverzichtbaren Entlastungsstraße weiter angeheizt wird. Diese katastrophale Fehlentscheidung auf dem Rücken der Bevölkerung muss umgehend rückgängig gemacht werden.“

Wirtschaftskammer befürchtet Milliardenschaden

Der Wiener Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck befürchtet einen Milliardenschaden für die Volkswirtschaft „Der Lobautunnel ist für den Wirtschaftsstandort Wien und die Ostregion von essenzieller Bedeutung. Kein Infrastrukturprojekt in Österreich wurde bisher so intensiv geprüft, wie dieser Tunnel.“ Ohne den Lobautunnel würden Betriebsansiedelungen und die damit verbunden neuen Arbeitsplätze ausbleiben, meint Ruck. Der Volkswirtschaft würden in Summe mehr als 12,7 Milliarden Euro entgehen.

Autofahrerclubs erwarten mehr Stau

Auch der ÖAMTC verwies auf die Stausituation: „Der heute von Bundesministerin Leonore Gewessler angekündigte Stopp für den S1-Lückenschluss bedeutet, dass die dringende Entlastung der Südost Tangente (A23) ausbleibt. Es wird dort auch weiterhin an rund 180 Tagen im Jahr in beiden Richtungen Überlastungs-Staus geben.“ Transit-Lkw, die nach Norden wollten, würden weiter mitten durch Wien rollen, wurde bekrittelt.

Auch der ARBÖ forderte in einer Aussendung die sofortige Rücknahme der Entscheidung. Die Ministerin nehme in Kauf, dass weiterhin täglich hunderttausende Wienerinnen und Wiener auf der Südosttangente im Stau stehen und die Siedlungsgebiete nördlich der Donau im Verkehr ersticken würden, wurde beklagt.

VCÖ sieht „kluge Entscheidung“

Die Gegner des Großprojekts Lobauautobahn haben am Mittwoch das Aus für den Tunnel bejubelt. Greenpeace etwa konstatierte ein Ende der „Betonpolitik“, das eine neue Ära für Klima und Natur einleite. Der Verkehrsclub Österreich lobte eine „kluge Entscheidung“. Straßenausbau führe zu mehr Verkehr und damit „a la longue wieder zu mehr Staus“, hielt der VCÖ fest. Die Klimaziele könne Österreich nur mit einer verstärkten Verlagerung von Autofahrten auf Öffis erreichen, hieß es in einer Aussendung.

Greenpeace sprach sogar von einem „bahnbrechenden“ Schritt. Die Umweltorganisation, die zuletzt auch mit einer Rathaus-Besetzung für Aufsehen gesorgt hatte, zeigte sich überzeugt, dass die Absage den „Startschuss für eine echte Verkehrswende in Österreich“ darstelle. Betont wurde weiters: „Das Ende des Lobautunnels sichert den einzigartigen Lebensraum des Nationalparks Donau-Auen für zukünftige Generationen.“

Forderung nach Ende der Stadtstraße

Jene Aktivisten, die derzeit an zwei Orten in der Donaustadt ausharren, an denen im Zusammenhang mit dem Großprojekt Bauarbeiten anstehen, sprachen von einem klimapolitischen Durchbruch. Die „LobauBleibt“-Bewegung – bestehend aus Gruppierungen wie Jugendrat, Fridays For Future, System Change not Climate Change oder Extinction Rebellion – sahen diesen auch als Ergebnis ihrer Protestaktionen. Wien wurde aufgefordert, auch die Stadtstraße nicht zu bauen.

Die Umweltorganisation Virus lobte Gewessler als „mutigste Verkehrsministerin der Republiksgeschichte“, Alliance for Nature hielt es für möglich, dass auch eine eventuelle Aberkennung des Nationalpark-Status des Nationalparkts Donau-Auen mit ein Grund für die Entscheidung gewesen sei. Auch Südwind, der WWF oder der Naturschutzbund begrüßten die Absage. Global 2000 hielt via Aussendung fest: „Die Lobauautobahn ist ein Uralt-Projekt aus der verkehrspolitischen Steinzeit. Die Stadt Wien hat nun die Chance, zukunftsorientierte und klimafreundliche Lösungen zu entwickeln.“